Warum wir mehr Studien nach dem Prinzip der Heinsberg-Studie brauchen
Derzeit schauen wir täglich auf die Infektionszahlen zum Corona-Virus Covid-19, die durch das Robert Koch-Institut oder durch die Johns Hopkins-Universität veröffentlicht werden. Diese Daten bieten nicht nur Laien interessante Einblicke ins Infektionsgeschehen, sondern bilden vor allem die Grundlage für politische Entscheidungen und Grundrechtseinschränkungen, die uns alle betreffen.
Ein wesentliches Problem beim derzeitigen Vorgehen wird bislang höchstens am Rande thematisiert: Personen werden nur unter bestimmten Umständen getestet. Das Bundesgesundheitsministerium riet jedoch lange Zeit ausschließlich dann einen Corona-Test an, wenn grippeähnliche Symptome vorliegen und man sich in den letzten 14 Tagen in einer Region mit Infizierten aufgehalten hat oder im selben Zeitraum Kontakt zu einem bestätigten Fall hatte. Mittlerweile wurde das Vorgehen auf regelmäßige Tests in bestimmten Einrichtungen ausgeweitet.
Testung von symptomfreien Personen
Dennoch wird deutlich, dass eine umfassende oder repräsentative Erhebung nur dann möglich ist, wenn man auch symptomlose Personen testet. Folglich muss das Infektionsgeschehen vom Ende her gedacht werden, indem wir uns auf Testergebnisse anstelle von Symptomen konzentrieren. Die Infektionsketten konnten bereits zu Beginn der Kontaktbeschränkungen nicht mehr nachvollzogen werden, sodass eine signifikante Anzahl von Infizierten und gleichzeitig Symptomlosen weiterhin den ÖPNV benutzen und sich in Supermärkten bewegen konnte. Verlässliche Studien könnten hier Hinweise auf gegebenenfalls notwendige regionale Einschränkungen in Verbindung mit einer intensiveren Testung (z. B. im Rahmen einer Vollerhebung) geben.

Um das derzeitige Vorgehen zu illustrieren, stelle man sich folgende Situation vor: Man möchte den Anteil der Raucher in der Bevölkerung schätzen. Anstelle einer Zufallsauswahl mit anschließender Befragung aller Personen (inklusive der Nichtraucher) bittet man die Raucher, sich bei den Erhebungsinstituten zu melden. Wenn der Vergleich auch inhaltlich hinkt, so verdeutlicht er doch die Bedeutsamkeit eines methodisch geleiteten Vorgehens bei der Schätzung von Werten der Gesamtbevölkerung.
Dennoch entsteht der Eindruck, über die Anzahl der Infizierten herrsche weitgehende Sicherheit. So wird die Anzahl der kumulierten Infektion für internationale Vergleiche herangezogen, was ohne Berücksichtigung der internationalen Testmechanismen im Grunde statistisch unzulässig ist. Die suggerierte Sicherheit über die Infektionszahlen ist aufgrund der Vorauswahl der zu testenden Personen trügerisch. Methodisch betrachtet kann das derzeitige Vorgehen als willkürliche Auswahl gelten, für die eben keine Schlüsse auf Personen außerhalb der Untersuchten möglich ist.
Die Bedeutung von Zufallsstichproben
An dieser Stelle kommt der Begriff der Repräsentativität ins Spiel. Werden die Infektionen nicht auf Basis einer Zufallsauswahl über die gesamte Bevölkerung ermittelt, bei der auch symptomlose Personen getestet werden, sind keine verlässlichen Schlüsse auf die Gesamtbevölkerung möglich. Das Ziehen einer Zufallsstichprobe würde beispielsweise so funktionieren:
Zunächst muss ein geeigneter Auswahlrahmen vorliegen. Dieser könnte beispielsweise aus allen Einwohnermeldedaten oder einem Telefonverzeichnis der Gesamtbevökerung bestehen. Aus diesem Verzeichnis werden anschließend über einen Zufallsmechanismus einige tausend Personen oder Haushalte gewählt, die anschließend gestestet werden. Je genauer man Schlüsse für die Gesamtbevölkerung ziehen will, desto mehr Personen müssen Teil der Stichprobe sein.
Die Bedeutung von Zufallsstichproben ergibt sich aus ihrem großen Potenzial im Hinblick auf ihre Evidenz, da eine Befragung oder Testung einzelner Personen zuverlässige Rückschlüsse auf die Gesamtpopulation zulässt. Gemäß statistischer Gesetze nähert sich der gemessene Wert bei Stichproben mit zunehmender Stichprobengröße dem tatsächlichen Wert. Zusätzlich kommt man bei den meisten Studien interessanter Weise auch dann zu validen Ergebnissen, wenn ein Großteil der kontaktierten Personen die Zusammenarbeit verweigert.
Schlüsse aus der Heinsberg-Studie
Die vielzitierte Heinsberg-Studie verfolgte den Ansatz der Stichprobenziehung und konnte so Schlüsse für den gesamten Kreis ziehen. Allerdings sind auf Basis dieser Ergebnisse keine Schlüsse für die gesamte Republik oder auch nur für Nordrhein-Westfalen möglich, da die Einwohner Gangelts sich hinsichtlich zahlreicher Faktoren systematisch von der Gesamtbevölkerung unterscheiden und von der Epidemie deutlich früher betroffen waren als andere Regionen.
Hinzu kommt unter anderem, dass die Zuverlässigkeit der verwendeten Corona-Tests kritisch betrachtet wird. Schlüsse für die gesamte Republik, beispielsweise im Bezug auf den Anteil tödlicher Verläufe, den die Studie mit 0,37% angibt, sind also auf Basis dieser Studie nicht zulässig und großen Unsicherheiten unterlegen (Armin Laschet bei Lanz: Warum die bloße Größe einer Stichprobe noch nichts über deren Repräsentativität aussagt)-
Die Testkapazitäten wurden mittlerweile auf eine Million Tests pro Woche ausgeweitet. Die Politik sollte daher Bemühungen in Richtung einer Ausweitung repräsentativer Studien über ganz Deutschland vorantreiben. Schließlich sind auch jene Personen, die keine Symptome vorweisen, infektiös für Risikogruppen. Ohne Berücksichtigung dieser Personen, wie derzeit praktiziert, besteht im Grunde nur eine dürftige Entscheidungsgrundlage für Shutdown-Maßnahmen. Vieles spricht im Hinblick auf die Testmechanismen dafür, dass die tatsächlichen Infektionszahlen deutlich über den derzeit berichteten liegen.
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