Zeigen die Umfragen einen Baerbock-Effekt?
In den letzten Tagen sorgte eine Umfrage des Instituts Forsa für Aufsehen: Während die Grünen auf ein neues Hoch von 28% kommen, liegen die Unionsparteien abgeschlagen mit 21% dahinter. Journalisten und die deutsche Twitter-Community sind in Aufruhr. Ist bereits ein Baerbock-Effekt zu erkennen? Welche Rolle spielt die Ernennung Laschets als Kanzlerkandidat?
Um es bereits vorweg zu nehmen: Ein Einfluss der Kandidaturen ist wahrscheinlich, wenn man auch nicht allzu viel Wert auf die Stimmenanteile in den Umfragen legen sollte. Aktuell gibt es mehr denn je Anlass für Zweifel an Umfrageergebnissen: Forsa wurde zunächst damit zitiert, für die jüngste Umfrage 1.502 Personen an nur einem Tag befragt zu haben (20.04.). Zwischenzeitlich wurde gemeldet, dass auch am 19.04. befragt worden sei. Aktuell gibt nach Angaben von wahlen.de ein Forsa-Mitarbeiter doch ausschließlich den 20.04. als einzigen Befragungstag an. Die Kommunikation steht dabei stellvertretend für den intransparenten Umgang mit der Umfragemethodik. Ohnehin steht speziell das Vorgehen von Forsa bereits länger in der Kritik (oder hier durch Übermedien).
Gewichtungsverfahren durch Pandemie zweifelhaft
Hinzukommt: Umfrageinstitute verwenden intransparente Gewichtungsmechanismen. Die Umfrageergebnisse werden vor Bekanntgabe mithilfe von Gewichtungsfaktoren nachjustiert, die der Öffentlichkeit nicht bekannt sind. Der Anlass für die Gewichtung liegt wesentlich in der bereits beschriebenen unterschiedlichen Erreichbarkeit der Ausgewählten. Für die aktuell historische Situation, in der sich die Erreichbarkeiten vieler Menschen infolge der Pandemie verändert haben, existieren keine Erfahrungswerte. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wer im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie besser oder schlechter zu erreichen ist. Die alten Gewichtungsmechanismen dürften also nicht mehr funktionieren, was die teils extrem schwankenden Stimmenanteile über die Institute hinweg erklären könnte.
Andere Artikel von UmfrageKorrektiv.de machten bereits darauf aufmerksam, dass die Ergebnisse von Wahlumfragen wesentlich von der Anzahl der Versuche abhängen, zufällig ausgewählte Personen zu erreichen. Erreicht man einen Großteil der Personen auch über mehrere Versuche hinweg nicht, so macht diese mit hoher Wahrscheinlichkeit andere angaben als jene, die sofort zu erreichen sind. Die folgende Grafik stellt dies am Anteil der Grünen-Wähler und Menschen mit postmaterialistischen Einstellungen dar:

Baerbock- und Laschet-Effekt?
Warum glaube ich dennoch, dass Baerbock und Laschet einen Einfluss ausüben? Wesentlich aufgrund zweiter Beobachtungen: Erstens hat sich die Methodik von Forsa in Relation zu vergangenen Umfragen wohl kaum verändert. Blieb das Institut beim gleichen Vorgehen, so kann zwar nach wie vor wenig Wert auf die genauen Stimmenanteile gelegt werden, die zeitlichen Veränderungen offenbaren dennoch eine Tendenz.

Zweitens hatte ich in der Vergangenheit gezeigt, dass sich die Stimmenanteile bei der Bundestagswahl 2013 mit überraschend hoher Genauigkeit durch die Suchvolumina bei Google-Anfragen ableiten lassen: Das jeweilige Suchaufkommen „erklärt“ das spätere Parteiergebnis je nach Modell zu einem Anteil von 91% oder mehr. Betrachtet man nun das gestiegene Suchinteresse an Annalena Baerbock, lässt sich hieraus eine schlüssige Verbindung zum Umfragehoch herstellen.
Journalisten und Politiker tun dennoch gut daran, derzeit kursierenden Umfragen keinen allzu hohen Wert beizumessen. Der in den Google-Trends ebenfalls erkennbare Schulz-Hype hielt nur wenige Wochen. Ebenso war davon auszugehen, dass Söders hohe Beliebtheitswerte ihn kaum bis zur Bundestagswahl getragen hätten. Wünschenswert wäre zudem ein kritischerer journalistischer Umgang mit Umfragemeldungen, was ein höheres Grundwissen über deren Methodiken erfordert.